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10.07.2025

Weshalb die Pharmalogistik jetzt auf KI setzen muss

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Steve Jacops 
Präsident, Global Biopharm Solutions; Mitglied der Geschäftsleitung, Global Clinical Supplies Group

Der nachfolgende Blog Post ist eine Zusammenfassung der Keynote-Präsentation von Steven A. Jacobs, Präsident von Global Biopharm Solutions, beim Leading Minds Network Seminar in Boston.  

Das grösste Hindernis ist nicht die Technologie – es sind die Menschen, veraltete Prozesse und ein Führungsdenken, das dem Wandel hinterherhinkt. Die Lieferketten in der Pharmaindustrie haben in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Doch fragt man Branchenkenner Steven Jacobs, liegt der Sektor noch immer weit hinter dem, was möglich und notwendig wäre. In seiner jüngsten Keynote-Speech zog Jacobs eine nüchterne Bilanz: Er zeigte auf, wie sich die Branche entwickelt hat, wo sie aktuell an Grenzen stösst und wie neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und Machine Learning dazu beitragen können, eine intelligentere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Lieferkette aufzubauen.

Jacobs’ Vortrag ist kein theoretisches Plädoyer für digitale Transformation. Er ist ein Appell zum Handeln – geprägt von praktischer Erfahrung und spürbarer Frustration über träge Systeme, die der Branche Zeit, Geld und vor allem eines kosten: Sicherheit für Patientinnen und Patienten.

Wichtigeste Erkenntnisse

  • Die Pharmaindustrie hat Fortschritte gemacht, doch die klinischen Abläufe hinken hinterher.
  • Künstliche Intelligenz bietet greifbare Vorteile – vorausgesetzt, die Daten sind sauber und nutzbar.
  • Hürden wie Misstrauen, unzureichende Schulung und regulatorische Hemmnisse bremsen die Einführung.
  • Investoren fordern Tempo, doch in der Praxis zählt klügere, nicht nur schnellere Innovation.
  • Jetzt ist der Moment, KI konsequent in Betrieb, Logistik und Compliance zu integrieren.

Die Ursprünge der Pharmalogistik
Jacobs beginnt mit einem Rückblick und lädt das Publikum ein, sich die Logistiklandschaft vor 25 oder 30 Jahren vor Augen zu führen: eine Zeit manueller Prozesse, unzuverlässiger Dokumentation, überdimensionierter Polyurethan-Behälter – und eines allgemeinen Mangels an Verantwortlichkeit bei der Temperaturkontrolle. 

Er schildert ein Beispiel, bei dem eine Klinik sperrige Transportbehälter als Möbelstücke wiederverwendete. Trockeneis wurde von Hand geschaufelt. Kuriere sagten zu, die Verpackungen aufzufrischen – taten es aber oft nicht. Weltweite Lieferverzögerungen waren an der Tagesordnung, und so manches Paket verschwand spurlos im Zoll.

Natürlich hat sich mit moderner Technologie vieles verändert. Heute stehen Unternehmen Real-Time-Überwachungssysteme, nachhaltigere Verpackungen und ausgefeilte regulatorische Systeme zur Verfügung. Doch laut Jacobs ist der Fortschritt ungleich verteilt. Besonders in der klinischen Lieferkette herrschen weiterhin Fragmentierung und Ineffizienz. Während kommerzielle Teams bereits auf Automatisierung, Analytik und Robotik setzen, arbeiten viele klinische Teams noch isoliert – mit uneinheitlichen Daten und überholten Abläufen.

Das Potenzial von Industrie-4.0-Technologien
Jacobs fordert sein Publikum auf, anzuerkennen, dass Industrie 4.0 längst keine Zukunftsvision mehr ist – sondern in vielen Branchen bereits gelebte Realität. Die Verbindung aus Künstlicher Intelligenz, Big Data, Cloud Computing und dem Internet der Dinge ist heute grundlegender Bestandteil zahlreicher Industrien – vom Einzelhandel bis zur Luftfahrt. Die Pharmaindustrie, so Jacobs, müsse dringend aufholen.
Ein zentrales Thema seines Vortrags ist der Umgang mit Daten. Zwar geben viele Anwesende an, Tools wie ChatGPT zu nutzen – doch nur wenige setzen KI gezielt ein, um ihre Lieferketten messbar zu verbessern. Jacobs zeigt sich davon wenig überrascht. Das eigentliche Problem sei nicht der Zugang zur Technologie, sondern der Mangel an sauberen, strukturierten Daten. Ohne hochwertige Datenbasis könne KI keine verlässlichen Erkenntnisse liefern. Die Branche leide nach wie vor unter dem klassischen «Garbage in, Garbage out»-Problem – und das bremst den digitalen Fortschritt erheblich.

Erfolgsgeschichten: Wenn KI funktioniert
Es gibt jedoch auch positive Beispiele. Unternehmen wie Genentech nutzen atmosphärische Daten, um Verpackungsstrategien zu optimieren und sparen damit jährlich Millionen. GSK, AstraZeneca und Novo Nordisk setzen KI ein, um Sendungen in Echtzeit zu überwachen – ein Prozess, der früher Wochen dauerte, läuft heute in Minuten ab. Andere experimentieren mit KI-Agenten, die E-Mails vorsortieren, Lieferunterbrechungen vorhersagen und Sendungen bei extremen Wetterlagen umleiten.

Trotz dieser Fortschritte sieht Jacobs viele Organisationen durch kulturelle Widerstände gebremst. Ein wesentlicher Hemmschuh sei weniger technologischer als psychologischer Natur: die Angst, unvorbereitet oder unwissend zu wirken. Viele Mitarbeitende scheuen es, mit KI- oder Automatisierungstools zu experimentieren, weil sie nicht als überfordert dastehen wollen.

Jacobs betont, dass diese Ängste kontraproduktiv sind. Künstliche Intelligenz werde die meisten Arbeitsplätze nicht ersetzen – aber diejenigen, die wissen, wie man sie effektiv einsetzt, werden im Vorteil sein. Der Umgang mit solchen Technologien ist heute eine Grundkompetenz, keine optionale Fähigkeit mehr.

Regulatorische Verzögerungen: «Der Elefant im Raum»
Im Verlauf der Diskussion richtet sich der Blick auf die Regulierungsbehörden und die Frage, ob deren zurückhaltende Haltung die Branche ausbremst. Jacobs räumte ein, dass Behörden oft langsam bei der Anpassung sind – besonders wenn es um die Zulassung KI-basierter Innovationen geht. Gleichzeitig warnte er davor, Regulierung als Ausrede für Stillstand zu nutzen. Stattdessen rief er Unternehmen dazu auf, proaktiv die Zusammenarbeit mit den Behörden zu suchen und gemeinsam ein Verständnis dafür zu entwickeln, was möglich und sicher ist.

Ein besonders ernüchternder Moment seiner Präsentation ist die Auseinandersetzung mit den Investoren. Während der Pandemie investierten diese Milliarden in die Life-Science-Branche, getrieben von Dringlichkeit, staatlicher Förderung und der Hoffnung auf beschleunigte Entwicklungsprozesse. Heute ziehen sich viele zurück – enttäuscht von langen Zeitplänen, geringen Renditen und hohem Risiko. Laut Jacobs ist die Kapitalrendite in einigen Fällen auf unter 4 % gefallen. Die Pharmaindustrie müsse beweisen, dass sie schneller, klüger und effizienter handeln kann, wenn sie das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen will.

Die menschlichen Faktoren: Motivation, Distanzierung und Angst
Gegen Ende der Sitzung richtet Jacobs den Fokus auf den menschlichen Faktor in Transformationsprozessen. Er stellt fest, dass 2025 nur etwa ein Drittel der Beschäftigten in der Branche wirklich engagiert bei der Arbeit sind. Der Rest ist entweder aktiv desinteressiert, unmotiviert oder emotional abgekoppelt. Während viele Unternehmen vor allem auf Boni und äußere Anreize setzen, plädiert Jacobs für tiefere Inspirationsquellen: Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung und die Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erlernen und zu meistern. Ohne Mitarbeitende, die sich persönlich mit ihrer Arbeit verbunden fühlen und befähigt sind, Veränderungen voranzutreiben, werde digitale Transformation nicht gelingen.
Zudem warnt er vor den Folgen, wenn Organisationen sich weigern, sich weiterzuentwickeln. Jacobs erinnert daran, dass KI nicht nur Arbeitsplätze bedroht – sondern ganze Unternehmen, insbesondere solche, die durch veraltete Systeme und überflüssige Arbeitsprozesse belastet sind. Seiner Einschätzung nach ist die Pharmaindustrie mit ihrer traditionellen Struktur und regulatorischen Vorsicht besonders anfällig für Disruption. Wenn die Branche nicht schnell modernisiert, werden es andere für sie übernehmen.

Fazit: Nicht abwarten und zurückbleiben
Jacobs schliesst seine Session mit einem optimistischen Ausblick. Er verweist auf konkrete Erfolge durch KI, bereichsübergreifende Innovationen und operative Durchbrüche, die zeigen, was möglich ist, wenn die richtigen Teams mit den passenden Werkzeugen ausgestattet werden. Die Zukunft bestehe nicht nur darin, Technologie einzusetzen, sondern darin, den Mut zu haben, Arbeit, Führung und den Nutzen für Patientinnen und Patienten grundlegend neu zu denken.
Für Unternehmen in der Pharma- und Life-Science-Branche ist die Botschaft klar: Jetzt ist die Zeit zu handeln, Unbequemlichkeiten anzunehmen, gezielt in relevante Werkzeuge und Schulungen zu investieren, den Mut zu haben zu scheitern – und schnell daraus zu lernen, um eine Lieferkette aufzubauen, die ebenso intelligent ist wie die Therapien, die sie schützt.

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